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Zum Start des neuen Schuljahres: Wieder fehlt der Wiederbelebungsunterricht flächendeckend im Lehrplan!
Der plötzliche Herz-Kreislaufstillstand gehört zu den häufigsten Todesursachen weltweit. Hieran sterben jährlich allein in Deutschland rund 70.000 Menschen. Es kann jede Altersstufe treffen: Kinder, Mütter, Väter, Großmütter und Großväter. Viele Patienten müssten aber nicht sterben, wenn direkt mit einer Herzdruckmassage begonnen würde. Mindestens 10.000 könnten hierzulande in jedem Jahr so zurück ins Leben kehren. Kindern und Jugendlichen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Deshalb fordert die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) bereits seit vielen Jahren die flächendeckende Einführung von Wiederbelebungsunterricht für jedes Kind spätestens ab der siebten Klasse. Mit Blick in die Lehrpläne der Kultusministerien für das neue Schuljahr wird klar: Auch in diesem Jahr wird diese Chance vertan!
Es geht um simple zwei Schulstunden einmal pro Halbjahr. In jeder Schule. In jedem Bundesland. Für jedes Kind. In dieser Zeit könnten Kinder und Jugendliche lernen, wie man einen Herz-Kreislaufstillstand erkennt, was PRÜFEN – RUFEN – DRÜCKEN bedeutet, und dass man – um ein Leben zu retten – nur kräftig mit seinen Händen auf den Brustkorb des Betroffenen drücken muss bis der Rettungswagen eintrifft. Hierzu könnten zusätzlich auch Konzepte mit ortsansässigen Rettungsdiensten, Krankenhäusern oder anderen Freiwilligen erarbeitet werden.
Wiederbelebung erfordert nur ein wenig Wissen und ein wenig Mut
„Es braucht nicht viel!“, weiß Univ.-Prof. Bernd Böttiger (linkes Foto), Präsidiumsmitglied der DIVI, Vorsitzender des Deutschen Rates für Wiederbelebung und Bundesarzt des Deutschen Roten Kreuzes. „Kultusminister aus Ost und West, Süd wie Nord finden unsere Forderungen immer unterstützenswert. Sie stehen im Koalitionsvertrag. Und trotzdem ist weiterhin kein Wiederbelebungsunterricht flächendeckend in Deutschland eingeführt!“ Der Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin an der Uniklinik Köln weiß, dass seine Patienten bis zum Eintreffen des Rettungswagens darauf angewiesen sind, dass die Pumpleistung ihres Herzens direkt und ohne zu zögern von den Angehörigen, Freunden oder fremden Menschen übernommen wird. Denn im Durchschnitt dauert es neun Minuten, bis ein Rettungswagen bei einem solchen Ereignis eintrifft. Nach fünf Minuten ohne Sauerstoff ist das Gehirn aber meist tot. „Hier muss der fehlende Herzschlag von Laien durch eine Herzdruckmassage ersetzt werden. Das erfordert nur ein wenig Wissen und ein wenig Mut. Und Sauerstoff ist meist noch genug im Blut vorhanden. Beatmen muss man bei Erwachsenen nicht unbedingt!“, erklärt Böttiger.
Selbst Kindergartenkinder können zu Lebensrettern werden
Erst Anfang des Sommers hatte das International Liaison Committee on Resuscitation (ILCOR) durch eine weltweite Zusammenarbeit von 18 hochrangigen internationalen
Wissenschaftlern aus zehn Ländern einen neuen Leitfaden zum Thema Laienreanimation veröffentlicht und kam zu dem Ergebnis, dass sogar Kinder ab vier Jahren erfolgreich Wiederbelebung erlernen und so zu Lebensrettern werden können. Das Paper ist wissenschaftlich äußerst hochranging publiziert und wird seither in Fachkreisen und in der Öffentlichkeit intensiv wahrgenommen und diskutiert. „Dieser Leitfaden verdeutlicht, welches Potenzial die Schulung in Reanimationstechniken in Schule und selbst im Kindergarten auf die Überlebensrate von Betroffenen nach einem Herz-Kreislaufstillstand hat“, weiß Prof. Bernd Böttiger, der als Hauptautor koordinierte. Empfehlenswert sei ein kontinuierliches jährliches zweistündiges Training mit einer Kombination aus Theorie und Praxis.
Weltweit kommen somit Intensiv- und Notfallmediziner zu dem Ergebnis:
- Schulkinder sind hoch motiviert, Wiederbelebungsmaßnahmen zu erlernen und durchzuführen, ihr Wissen mit Familie und Freunden zu teilen und damit als Multiplikatoren zu dienen.
- Schon im Alter von vier Jahren sind Kinder in der Lage, die grundlegenden Schritte der Wiederbelebung zu erlernen. Ab diesem Alter können sie nach einem Training z.B. eine nicht normale Atmung und eine Bewusstlosigkeit erkennen. Damit ist ein früher Beginn des Wiederbelebungstrainings möglich. Mit spätestens sechs Jahren können Kinder nach einem Unterricht erklären, wie man den Notruf wählt und teilen korrekte Informationen zum Notfall mit.
- Die nötige Kompressionstiefe bei einer Herzdruckmassage beträgt fünf bis sechs Zentimeter bei Erwachsenen. Dazu wird pro Minute 100 bis 120 Mal der Brustkorb in Höhe der Brustwarzen mit beiden Händen abwechselnd eingedrückt und entlastet. Diese effektive Kompressionstiefe kann ab einem Alter von etwa zehn bis zwölf Jahren erreicht werden. Beeinflusst wird die Tiefe vorwiegend von Körpergewicht und Body-Mass-Index des Kindes. Trotz dessen sollte auch jüngeren Kindern die korrekte Kompressionstiefe und -frequenz unterrichtet werden, auch wenn sie diese unter Umständen beim Training nicht erreichen, um das Wissen langfristig zu fundieren und damit in Notsituationen eventuell dabeistehende ältere Menschen anweisen zu können.
- Regelmäßiges Training der Wiederbelebungstechniken festigt die Fähigkeiten langfristig. Wird das Training bei den jüngsten Kindern begonnen, entwickeln und verankern sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse dauerhaft. Damit wird ein vierjähriges Kind, das weiß, wie man den Notruf wählt, zu einem zehnjährigen jungen Menschen, der eine effektive Herzdruckmassage ausführen kann – und auch den Mut dazu hat.
Dänemark hat Reanimationsquote durch Schulunterricht verdreifacht
Seit in Dänemark 2005 der Wiederbelebungsunterricht für Schulkinder gesetzlich festgeschrieben wurde, hat sich die Überlebensrate bei einem Herz-Kreislaufstillstand bei unseren nördlichen Nachbarn verdreifacht. „Das können wir auch in Deutschland schaffen“, ist Böttiger überzeugt. Aber auch 85.000 Ja-Stimmen aus der Bevölkerung konnten bisher noch nichts erwirken: Im September 2021 startete das Aktionsbündnis „Wir beleben Deutschland wieder“, dem die DIVI angehört, eine viel beachtete Kampagne. 84.972 Bürger unterschrieben eine Petition für die Einführung von Wiederbelebungsunterricht. Sie wurde im Mai 2022 vor dem Bundestag vor laufender Fernsehkamera an den Petitionsausschuss des Bundestages überreicht – und versandet leider bisher zwischen Verweisen an die Kultusminister der Länder und zurück nach Berlin.
„Vielleicht nutzen wir unser Potenzial ja 2024“, überlegt Bernd Böttiger. „Es muss doch möglich sein!“ Aber ja: Um Leben zu retten, braucht es etwas Mut!
Foto: privat
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